Niemand hat je erlebt, was die Welt im Frühjahr 2020 durchmacht. Lockdown in fast allen Ländern wegen der Covid-19 Pandemie. Viele Menschen sind zum ersten Mal mit Homeoffice konfrontiert. Wie hunderttausende nun erleben, kann das zur grossen Herausforderung werden. Wie gelingt es, das Business, den Unterricht für die Kinder im Wohnzimmer und einen komplett anders organisierten Haushalt auf einen Nenner zu bringen? Und viele müssen sich noch an etwas ganz Neues gewöhnen: Sitzungen finden nun online statt mittels Video Konferenz.
Letzteres hat viele Vorteile. Wir finden heraus, dass Online-Meetings in der Regel kürzer dauern und darum meist effizienter sind. Und es bestätigt sich das, was wir schon immer vermutet haben: viele Sitzungen sind erst gar nicht notwendig und reine Zeitverschwendung. Die so gewonnene Zeit können wir nun sinnvoller und in die wirklich wichtigen Dinge investieren.
Plötzlich lernen wir ganz viele Leute besser kennen
Und es gibt noch einen Nutzen, an den niemand zuvor so richtig gedacht hat. Wir lernen unsere Kollegen und Geschäftspartner viel besser kennen. Warum? Weil wir sie heutzutage zuhause in ihrem privaten Umfeld vor dem Computer sitzend antreffen. Auch wenn meist nicht viel von dem sichtbar ist, was sich im Hintergrund oder neben ihnen befindet, die wenigen Dinge im Blickfeld erzählen oftmals bereits eine kleine Geschichte über ihren Lebensstil, ihre Interessen und ihren Geschmack. Da ist der IT-Spezialist inmitten von antiken Bildern und Möbeln zu sehen, die Marketing Assistentin umgeben von Katzen und beim CFO stehen dutzende Playstation-Spiele in einer Bücherwand. Übrigens, auf dem Bild oben bin ich zu sehen und man kann erraten, für welchen Unterhaltungskonzern ich lange gearbeitet habe und dass Flugzeuge eine Leidenschaft von mir sind.
Unsere Art zu wohnen ist ein persönliches Statement
Tauchen wir einmal ein die die Psychologie des Wohnens. Ob Familienfoto am Kühlschrank, ein spezielles Ablagesystem im Office oder ein früheres Lieblingsbuch, das nun zwar auf dem Bücherregal ganz hinten steht, aber, und das ist viel wichtiger, es wurde nicht weggeworfen! Alle diese kleinen Details reflektieren die Persönlichkeit eines Menschen. Wie er sich selber sieht, wie er seine Familie sieht und wie sich Dinge über die Jahre verändert haben. "Im Wesentlichen zeigt jede Wohnung ein Destillat aus jahrelangem Verhalten und persönlichen Präferenzen" sagt Sam Gosling, Professor der Psychologie at der Universität von Texas.
Was Experten wie Sam Gosling herausgefunden haben ist zum Beispiel, dass introvertierte Menschen, die sowieso vielfach auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind, ihre Wohnungen kaum dekorieren. Sie fürchten zu viel Ablenkung von den Wesentlichen Dingen im Leben. Auf der anderen Seite sind extrovertierte Personen meist sehr sozial und dekorieren ihr Heim bis ins Detail, um es möglichst einladen für andere wirken zu lassen.
Es überrascht auch nicht, dass Menschen, die sich zuhause gerne mit antiken Möbeln und Bildern umgeben, eher in der Vergangenheit leben und oftmals Probleme damit haben, etwas loszulassen. Aber der geerbte Schrank von der Grossmutter oder der antike Tisch vom Onkel, der schon lange verstorben ist, können auch positive Erinnerungen wecken und uns ein Gefühl der Geborgenheit geben. Es ist also die Auswahl der Stücke und der Mix, der es ermöglicht, vieles über eine Person auszusagen.
Kann man im Umkehrschluss sagen, dass Leute automatisch exzentrisch sind, wenn sie es in ihrem Heim gerne bunt mögen, ihre Wände mit billigen Souvenirs der letzten Afrikareise dekorieren und gleich daneben Ölgemälde von heutigen europäischen Künstlern und schwarzweiss Fotografien der 50er-Jahre hängen haben? Nein sagt Sam Gosling. Diese Menschen sind oftmals einfach freiheitsliebend, offen für neue Ideen und sie stellen Konventionen eher in Frage als andere. Ein klarer Hinweis dafür, dass man es mit einem Freigeist zu tun hat, ist eine Sammlung von Jazz-Platten in einer Ecke, sagt der Experte.
Achte auf die Hinweise und lerne
Gosling meint, dass wir in unseren Wohnungen ganz viele Hinweise zu unserer Person abgeben. Ein unbezahlbares Ölgemälde sendet genauso eine Botschaft aus wie ein billiger Werbeaufkleber von Apple. Uns ist primär wichtig, dass diese Botschaft von anderen empfangen wird. "Die Menschen sind produktiver und glücklicher, wenn sie andere davon überzeugen können sie so zu sehen, wie sie sich selbst sehen". Auch wenn man sich dessen nicht bewusst ist - wir alle drücken unsere Persönlichkeit damit aus, wie wir unser Zuhause einrichten und dekorieren. Sogar wenn wir ganz spartanisch leben und fast keine Möbel oder Bilder besitzen, sagt das sehr viel über uns aus.
Ist nicht wenigstens das ein positiver Effekt? Wir lernen trotz, oder gerade wegen dieser Krise, die Leute, mit denen wir täglich zu tun haben, viel besser kennen. Ich finde schon und ich schätze diese neuen Erkenntnisse. Neben den professionellen Aspekten kommt plötzlich viel mehr vom Menschen zum Vorschein und eine sehr persönliche Seite von Kollegen und Geschäftspartnern wird sichtbar. Meine Einstellung hat sich dadurch verändert und ich arbeite nun noch lieber mit ihnen zusammen. Jede Krise birgt auch Chancen. Und das ist eine davon. Es wird sich wohl in Zukunft fundamental ändern, wie wir Meetings abhalten und wie wir andere sehen. Lasst uns alle ein wenig mehr von uns preisgeben und vermehrt unsere menschliche, private Seite zeigen - für ein besseres Miteinander nach der Krise!
Autor: Benno Stäheli
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